Juliane Lohse (Psychologiestudentin)
Angst ist ein natürlicher Teil der kindlichen Entwicklung, doch wenn sie überhandnimmt, kann sie zu einer Herausforderung für Kinder und ihre Familien werden - wie können wir erkennen, wann Unterstützung nötig ist, und was können Eltern tun, um der Entwicklung einer Angststörung ihrer Kinder entgegenzuwirken?
Die Funktion von Angst und ihre Bedeutung in der kindlichen Entwicklung
Angst erfüllt grundsätzlich eine wichtige biologische Funktion als Warnsystem, das uns vor Gefahren oder Bedrohungen schützt und aktiviert wird, sobald wir diese wahrnehmen. Die wahrgenommenen Bedrohungen können dabei sehr vielfältig sein und reichen von gefährlichen oder unbekannten Situationen bis hin zu einem Mangel an Unterstützung. Sobald eine solche Bedrohung erkannt wird, bereitet sich der Mensch sowohl körperlich als auch kognitiv und in seinem Verhalten auf den Schutz vor dieser vor. Das bedeutet, dass Angst in einem moderaten Ausmaß durchaus sehr hilfreich sein kann. Bei der Angst handelt es sich um einen emotionalen Zustand, der sich durch belastende Gefühle und körperliche Anspannung äußert. Sie richtet sich vor allem auf zukünftige Ereignisse, die als bedrohlich und unkontrollierbar wahrgenommen werden. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von der unmittelbaren Alarmreaktion der Furcht, die oft von starken Fluchtimpulsen begleitet wird. Furcht bei Kindern ist jedoch, genauso wie Angst, ein natürlicher Teil der kindlichen Entwicklung. Sie zeigt, dass Kinder ihre kognitiven Fähigkeiten weiterentwickeln und sie ihre Umgebung zunehmend besser einschätzen können.
Die Ängste von Kindern verändern sich im Verlauf ihrer Entwicklung sowohl in ihrer Art als auch in ihrer Intensität. Zu Beginn zeigen Säuglinge und Kleinkinder Ängste vor lauten Geräuschen, später vor Trennungen von ihren Bezugspersonen oder bei Begegnungen mit Fremden. Im Vorschulalter entwickeln Kinder häufig Ängste vor Fantasiegestalten und übernatürlichen Wesen. Mit zunehmendem Alter kommen sie vermehrt mit Medien in Kontakt, wodurch insbesondere Ängste vor realen Bedrohungen, wie etwa Naturkatastrophen, auftreten, die auch in den Medien thematisiert werden. In der Adoleszenz treten verstärkt Ängste im sozialen Bereich auf, wobei die Furcht vor Ablehnung durch Gleichaltrige besonders ausgeprägt ist (Essau, 2023).
Wie können Eltern ihre Kinder bei der Überwindung ihrer Ängste unterstützen?
Es gibt verschiedene hilfreiche Ansätze, um mit den Ängsten von Kindern umzugehen. Zunächst sollten Eltern die Ängste ihrer Kinder ernst nehmen. Anstatt jedoch die angstauslösende Situation zu vermeiden oder dem Kind abzunehmen, ist es ratsam, gemeinsam darüber zu sprechen und zu üben, wie man mit der Angst umgehen kann. Wenn Eltern ihren Kindern die Konfrontation mit der eigenen Angst ersparen, wird der Kreislauf jedoch nicht durchbrochen, der entsteht, wenn das Kind versucht, der Angst aus dem Weg zu gehen (Vermeidungsverhalten). Dies führt lediglich zu einer kurzfristigen Linderung der Angst. Es ist entscheidend, Kinder in ihrer Selbstständigkeit zu fördern (https://moonwalker-verlag.de/blogs/moonwalker-blog/wie-kinder-selbststandigkeit-lernen-und-entfalten), indem sie ausreichend Zeit und Raum erhalten, um eigene Lösungen für Probleme zu finden. Statt die Angst zu ignorieren oder mit Aussagen wie „Davor brauchst du doch keine Angst haben!“ zu reagieren, sollten Kinder ermutigt werden, sich der Situation zu stellen. Haben sie eine schwierige Situation gemeistert, ist es hilfreich, sie dafür zu loben, um das Selbstvertrauen zu stärken. Die zuvor erwähnte Furcht von Kindern vor Fantasiegestalten und übernatürlichen Wesen kann durch konkrete Maßnahmen verringert werden. Eltern können beispielsweise „Monsterfallen“ basteln, die Tür in der Nacht einen Spalt offenlassen oder ein gedimmtes Nachtlicht neben das Bett des Kindes stellen, um stärker ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln (Gesundheitskasse, 2024).
Wenn Angst zur Belastung wird: Wann sollten Eltern professionelle Unterstützung suchen?
Angst und Unruhe treten in der Kindheit zwar häufig auf, sind jedoch meist vorübergehend und in ihrer Intensität eher gering (Muris, 2011). Problematisch werden Ängste bei Kindern und Jugendlichen, wenn sie zu intensiv sind, über längere Zeit anhalten oder in Situationen auftreten, in denen sie nicht mehr angemessen sind. In solchen Fällen ist das Kind oder der/die Jugendliche nicht mehr in der Lage, die Angst selbst zu bewältigen, und die Angst kann das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen (Essau, 2023).
Früher wurde Angst bei Kindern und Jugendlichen oft als unbedenklich betrachtet und erhielt wenig Aufmerksamkeit. In den letzten zehn Jahren hat sich diese Ansicht jedoch geändert, da Studien zeigen, dass Ängste in der Kindheit bei etwa 22,8 % der Kinder auf ernsthafte Angststörungen hindeuten (Muris, 2000). Angststörungen sind mittlerweile die häufigste psychische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen und betreffen etwa jedes 12. Kind und jeden/jede 4. Jugendliche*n. Zu den häufigsten Angststörungen gehören bestimmte Phobien (die Konfrontation mit einer gefürchteten Situation z. B. Angst vor Tieren oder Höhen), soziale Angst (z. B. Angst vor neuen Menschen oder Situationen), Trennungsangst (z. B. Angst, von den Eltern getrennt zu sein), Agoraphobie (Angst vor offenen oder überfüllten Orten), Panikattacken und generalisierte Angst (plötzlich auftretende, überwältigende Angst und ständige Sorgen und Ängste) (Kowalchuk et al., 2022). Alle diese Angststörungen zeichnen sich durch übermäßige Angst aus, die das tägliche Leben der betroffenen Kinder und Jugendlichen stark beeinträchtigt. Sie unterscheiden sich jedoch in der Art der gefürchteten Situationen und den darauffolgenden Reaktionen. Neuere Studien zeigen, dass Phobien die häufigste Form der Angststörung bei Kindern und Jugendlichen sind, während Panik- und generalisierte Angststörungen seltener auftreten (Essau, 2023).
Die Symptome von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen ähneln denen bei Erwachsenen und äußern sich häufig in intensiven körperlichen Reaktionen wie starkem Schwitzen und Herzrasen sowie in auffälligem Verhalten, wie etwa plötzlichen Wutausbrüchen oder Vermeidungsverhalten (Kowalchuk et al., 2022). Darüber hinaus zeigen betroffene Kinder und Jugendliche oft psychosoziale Beeinträchtigungen. Sie haben häufig wenig Kontakt zu Gleichaltrigen und haben verstärkt Schwierigkeiten im schulischen und familiären Kontext (Bowen et al., 1990). In der Bremer Jugendstudie berichteten Jugendliche mit Angststörungen nicht nur von den typischen Symptomen, sondern gaben auch an, in den letzten vier Wochen durchschnittlich an 4,26 Tagen aufgrund emotionaler Probleme vollständig unfähig gewesen zu sein, ihren täglichen Aktivitäten nachzugehen (Essau et al., 2001).
Angststörungen entstehen durch eine Kombination verschiedener Faktoren, zu denen genetische Veranlagung, das Temperament des Kindes, das Erziehungsverhalten, äußere Einflüsse und körperliche Aspekte gehören (Cabral & Patel, 2020). Sie verlaufen häufig chronisch und verschwinden nur selten von selbst (Keller et al., 1992). Die bedeutendsten Vorhersagefaktoren, die darauf hinweisen, dass eine Angststörung bei Kindern langfristig bestehen bleibt, sind ein früher Beginn der Störung (vor dem 13. Lebensjahr), die Auswirkungen der Störung auf das tägliche Leben und das Vorhandensein weiterer psychischer Probleme (Last et al., 1997). Aus diesem Grund sollte bei entsprechender Symptomatik frühzeitig eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen werden. In der Regel wird zunächst eine kognitive Verhaltenstherapie empfohlen. Pegg et al. (2022) konnten zeigen, dass nach Abschluss der Therapie 77 % der Betroffenen eine deutliche Verbesserung der Symptomatik zeigten und 46,8 % vollständig von der Angststörung geheilt wurden.
Fazit
Eltern sollten die Ängste ihrer Kinder ernst nehmen und sie darin unterstützen, selbstbewusst mit ihnen umzugehen. Ängste gehört zu einer gesunden Entwicklung dazu, doch wenn sie zu intensiv oder langanhaltend wird, kann sie das Leben der Kinder und Jugendlichen erheblich beeinträchtigen. In diesem Fall ist eine frühzeitige psychotherapeutische Behandlung ratsam, um langfristige Auswirkungen zu vermeiden und ihnen zu helfen, ihre Ängste zu überwinden.
Literatur:
Bowen, R. C., Offord, D. R., & Boyle, M. H. (1990). The prevalence of overanxious disorder and separation anxiety disorder: Results from the Ontario Child Health Study. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 29(5), 753–758. https://doi.org/10.1097/00004583-199009000-00013
Cabral, M. D., & Patel, D. R. (2020). Risk Factors and Prevention Strategies for Anxiety Disorders in Childhood and Adolescence. Advances in experimental medicine and biology, 1191, 543–559. https://doi.org/10.1007/978-981-32-9705-0_27
Essau, C. A. (2023). Angst bei Kindern und Jugendlichen. Stuttgart: UTB.
Essau, C.A., Groen, G., Conradt, J., Turbanisch, U. & Petermann, F. (2001). Reliabilität und Validität der SCL-90-R: Ergebnisse der Bremer Jugendstudie. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 22, 139-152.
Gesundheitskasse, A.-. D. (2024). Ängste bei Kindern: Wie Sie Ihren Nachwuchs stärken. AOK - die Gesundheitskasse. Verfügbar unter: https://www.aok.de/pk/magazin/familie/eltern/aengste-bei-kindern-wie-sie-ihren-nachwuchs-staerken/
Keller, M. B., Lavori, P. W., Wunder, J., Beardslee, W. R., Schwartz, C. E., & Roth, J. (1992). Chronic course of anxiety disorders in children and adolescents. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 31(4), 595–599. https://doi.org/10.1097/00004583-199207000-00003
Kowalchuk, A., Gonzalez, S. J., & Zoorob, R. J. (2022). Anxiety Disorders in Children and Adolescents. American family physician, 106(6), 657–664.
Last, C. G., Hansen, C., & Franco, N. (1997). Anxious children in adulthood: a prospective study of adjustment. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 36(5), 645–652. https://doi.org/10.1097/00004583-199705000-00015
Muris P. (2011). Further Insights in the Etiology of Fear, Anxiety and Their Disorders in Children and Adolescents: The Partial Fulfillment of a Prophecy. Journal of child and family studies, 20(2), 133–134. https://doi.org/10.1007/s10826-011-9446-3
Muris, P., Merckelbach, H., Mayer, B., & Prins, E. (2000). How serious are common childhood fears?. Behaviour research and therapy, 38(3), 217–228. https://doi.org/10.1016/s0005-7967(98)00204-6
Pegg, S., Hill, K., Argiros, A., Olatunji, B. O. und Kujawa, A. (2022). Kognitive Verhaltenstherapie für Angststörungen bei Jugendlichen: Wirksamkeit, Moderatoren und neue Fortschritte bei der Vorhersage von Ergebnissen. Aktuelle psychiatrische Berichte, 24(12), 853–859. https://doi.org/10.1007/s11920-022-01384-7