Auswirkungen auf die Emotionsregulation und den Umgang mit dem Kind unter Berücksichtigung von Fremdbetreuung
von Antonia Schmoldt
Einleitung
Elternschaft ist heute mit einer Vielzahl an Anforderungen verbunden. Eltern sollen emotional präsent, feinfühlig, bildungsorientiert, beruflich engagiert und gleichzeitig sozial integriert sein. Inmitten dieser komplexen Rollen geraten viele Eltern unter permanenten Stress. Besonders wenn Erholungsphasen ausbleiben, entstehen Zustände chronischer Überreizung, die sich unmittelbar auf das elterliche Verhalten und die Qualität der Beziehung zum Kind auswirken. Dieser Artikel beleuchtet die neurobiologischen und psychologischen Auswirkungen von Überreizung auf die Emotionsregulation bei Eltern, die daraus resultierenden Dynamiken im Familienalltag und stellt Fremdbetreuung sowie soziale Unterstützung als entlastende Faktoren in den Fokus.
Überreizung – ein unterschätzter Risikozustand
Überreizung beschreibt einen Zustand emotionaler, kognitiver und sensorischer Überlastung, der vor allem durch chronischen Stress, Reizflut, Dauerverfügbarkeit und mentale Überforderung („mental load“) entsteht. Insbesondere Mütter sind durch das gleichzeitige Management von Kinderbetreuung, Erwerbsarbeit und Haushaltsorganisation einem erhöhten Belastungsrisiko ausgesetzt (Mikolajczak et al., 2019).
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass chronischer Stress die Aktivität des präfrontalen Kortex – zuständig für Emotionsregulation und Impulskontrolle – hemmt, während limbische Strukturen wie die Amygdala überaktiviert werden (Arnsten, 2009). Die kognitive Kontrolle nimmt ab, emotionale Reaktionen werden intensiver, spontaner und schwerer zu steuern.
Emotionsregulation im elterlichen Kontext
Emotionsregulation ist ein zentraler psychologischer Mechanismus, der es Menschen ermöglicht, emotionale Zustände zu modulieren, um sozial angemessen zu reagieren (Gross, 1998). Für Eltern ist sie von besonderer Bedeutung, da sie nicht nur ihre eigenen Emotionen regulieren, sondern gleichzeitig die emotionale Entwicklung ihrer Kinder mitgestalten.
Insbesondere in den ersten Lebensjahren sind Kinder auf die Ko-Regulation durch ihre Bezugspersonen angewiesen. Eltern, die überreizt oder emotional erschöpft sind, können diese Rolle oft nicht adäquat erfüllen. Daraus können sich Unsicherheiten in der Bindung, erhöhte Irritierbarkeit und langfristige Schwierigkeiten in der kindlichen Emotionsverarbeitung ergeben (Morris et al., 2007; Hajal & Paley, 2020).
Auswirkungen auf die Beziehung zum Kind
Die elterliche Überreizung äußert sich häufig in:
erhöhter Reizbarkeit gegenüber alltäglichen Bedürfnissen des Kindes,
affektiven Ausbrüchen (z. B. Schreien, Ungeduld),
emotionalem Rückzug (emotionale Abwesenheit oder Vermeidung),
widersprüchlichem Erziehungsverhalten (Inkonsequenz, Schuldgefühle, Überkompensation).
Diese Verhaltensweisen unterbrechen nicht nur den emotionalen Dialog zwischen Eltern und Kind, sondern wirken sich auch negativ auf das Selbstbild des Kindes aus. Kinder reagieren häufig mit Rückzug, Unsicherheit oder kompensatorischen Verhaltensweisen wie übermäßiger Fürsorglichkeit gegenüber den Eltern (Parentifizierung; Chase, 1999). Studien zeigen, dass emotionale Dysregulation der Eltern signifikant mit externalisierendem und internalisierendem Problemverhalten bei Kindern korreliert (Hajal & Paley, 2020; Morris et al., 2007).
Die Rolle von Fremdbetreuung
In belasteten Familiensystemen kann qualitativ hochwertige Fremdbetreuung ein zentraler Resilienzfaktor für Kinder sein. Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder Tagespflege bieten emotionale Stabilität, Vorhersehbarkeit und zusätzliche Bindungsangebote. Insbesondere dann, wenn Betreuungspersonen feinfühlig und konstant agieren, profitieren Kinder in ihrer Emotionsregulation und psychosozialen Entwicklung (Ahnert et al., 2006).
Gleichzeitig stellt Fremdbetreuung eine wichtige Entlastungsmöglichkeit für Eltern dar. Studien zeigen, dass schon wenige Stunden qualitativ hochwertiger Fremdbetreuung pro Woche das Stresserleben der Eltern signifikant reduzieren können (Leerkes et al., 2015; Roskam et al., 2021). Die gesellschaftliche Tabuisierung der „Abgabe“ von Kleinkindern muss daher einer differenzierten Betrachtung weichen: Nicht die Fremdbetreuung als solche ist problematisch, sondern ihre Qualität und die Begleitung des Übergangs durch Eltern und Betreuungseinrichtungen.
Die Rolle sozialer Unterstützung
Neben institutionellen Angeboten spielt auch informelle Unterstützung durch Familie, Freund:innen oder Nachbarschaft eine zentrale Rolle. Soziale Unterstützung wirkt stresspuffernd, stärkt das elterliche Selbstwirksamkeitserleben und reduziert das Risiko für elterliches Burnout (Balaji et al., 2007).
Trotzdem fühlen sich viele Eltern isoliert. Besonders in Einelternfamilien oder unter prekären Lebensverhältnissen fehlt oft ein tragfähiges Unterstützungsnetzwerk. Hier sind niederschwellige, wohnortnahe Angebote gefragt – von Elterncafés bis zu Familienzentren –, um soziale Isolation zu durchbrechen und frühzeitig professionelle Unterstützung zu vermitteln.
Handlungsempfehlungen und Prävention
Um Eltern in belastenden Lebenssituationen zu stärken, braucht es ein Zusammenspiel aus individueller Entlastung, struktureller Unterstützung und gesellschaftlicher Enttabuisierung elterlicher Erschöpfung:
Psychoedukation: Eltern brauchen Informationen über Stressmechanismen, Emotionsregulation und Selbstfürsorge, z. B. in Kursen, durch Bücher oder digitale Angebote.
Entlastungsangebote: Flexible Betreuung, mobile Familienhilfen und Familienzeitmodelle können helfen, Erholung in den Alltag zu integrieren.
Emotionale Validierung: Schuldgefühle und Scham erschweren Hilfeprozesse. Eltern brauchen Räume, in denen sie sich mit ihren Überforderungen zeigen dürfen.
Frühzeitige Beratung: Niedrigschwellige psychologische Beratung oder Eltern-Coachings können helfen, destruktive Muster zu durchbrechen und neue Handlungsstrategien zu entwickeln.
Fazit
Überreizung bei Eltern ist kein Zeichen persönlicher Schwäche, sondern Ausdruck eines überfordernden Lebenskontextes. Die psychischen Folgen betreffen nicht nur die Eltern selbst, sondern auch die emotionale Entwicklung ihrer Kinder. Eine Kombination aus individueller Reflexion, struktureller Unterstützung (z. B. durch Fremdbetreuung) und gesellschaftlicher Entlastung kann helfen, den Kreislauf von Erschöpfung, Schuld und Dysregulation zu durchbrechen.
Literaturverzeichnis
Ahnert, L., Pinquart, M., & Lamb, M. E. (2006). Security of children’s relationships with nonparental care providers: A meta-analysis. Child Development, 77(3), 664–679. https://doi.org/10.1111/j.1467-8624.2006.00896.x
Arnsten, A. F. T. (2009). Stress signalling pathways that impair prefrontal cortex structure and function. Nature Reviews Neuroscience, 10(6), 410–422. https://doi.org/10.1038/nrn2648
Balaji, A. B., Claussen, A. H., Smith, D. C., Visser, S. N., Morales, M. J., & Perou, R. (2007). Social support networks and maternal mental health and well-being. Journal of Women’s Health, 16(10), 1386–1396. https://doi.org/10.1089/jwh.2007.0450
Chase, N. D. (1999). Burdened children: Theory, research, and treatment of parentification. SAGE Publications.
Gross, J. J. (1998). The emerging field of emotion regulation: An integrative review. Review of General Psychology, 2(3), 271–299. https://doi.org/10.1037/1089-2680.2.3.271
Hajal, N. J., & Paley, B. (2020). Parental emotion dysregulation and child outcomes. Clinical Child and Family Psychology Review, 23(2), 174–186. https://doi.org/10.1007/s10567-020-00311-7
Leerkes, E. M., Augustine, M. E., O’Brien, M., & Calkins, S. D. (2015). Pathways by which maternal sensitivity influences child outcomes. Child Development, 86(5), 1532–1548. https://doi.org/10.1111/cdev.12380
Mikolajczak, M., Gross, J. J., & Roskam, I. (2019). Parental burnout: What is it, and why does it matter? Clinical Psychological Science, 7(6), 1319–1329. https://doi.org/10.1177/2167702619858430
Morris, A. S., Silk, J. S., Steinberg, L., Myers, S. S., & Robinson, L. R. (2007). The role of the family context in the development of emotion regulation. Social Development, 16(2), 361–388. https://doi.org/10.1111/j.1467-9507.2007.00389.x
Roskam, I., Aguiar, J., Aunola, K., Bader, M., Nelson, S. K., & Mikolajczak, M. (2021). Parental burnout around the globe: A 42-country study. Affective Science, 2(1), 58–79. https://doi.org/10.1007/s42761-021-00034-0
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