Zwischen Selbstdarstellung, Vergleich und narzisstischen Dynamiken – eine psychologische Einordnung
von Antonia Schmoldt ( Psychologin M.Sc)
Einleitung
Jugendliche waren schon immer auf der Suche nach sich selbst – heute tun sie das zunehmend im digitalen Raum. Plattformen wie TikTok, Instagram oder Snapchat bieten nicht nur Möglichkeiten zur Unterhaltung, sondern auch zur Selbstdarstellung, Spiegelung und sozialen Bewertung. Was einst Tagebuch war, ist heute öffentliches Storytelling in Echtzeit. Die eigene Identität wird nicht mehr im stillen Kämmerlein erprobt, sondern im Sekundentakt kommentiert, geliked oder ignoriert. Doch welche psychologischen Prozesse sind hier am Werk? Wie beeinflusst die permanente digitale Rückmeldung die Selbstwahrnehmung von Jugendlichen? Welche Rolle spielen Vergleiche, Selbstinszenierung – und wo beginnt eine narzisstische Dynamik?
Selbstwahrnehmung im digitalen Spiegel
Die Identitätsentwicklung in der Jugendzeit ist eine sensible Phase. Psychologisch gesprochen ist sie geprägt vom Bedürfnis nach Autonomie, sozialer Zugehörigkeit und dem Aufbau eines stabilen Selbstbilds (Erikson, 1968). In digitalen Kontexten wird dieses Selbstbild jedoch ständig von außen gespiegelt und bewertet – über Likes, Followerzahlen oder algorithmische Sichtbarkeit.
Diese Art der digitalen Rückmeldung kann sowohl bestärkend als auch entwertend wirken. Studien zeigen, dass Jugendliche, die ihre Selbstwertregulation stark an digitalen Interaktionen ausrichten, ein erhöhtes Risiko für depressive Symptome, sozialen Vergleich und emotionale Instabilität aufweisen (Nesi & Prinstein, 2015). Gleichzeitig sind viele Jugendliche stolz auf ihre „Selbstmarke“ – die Kontrolle über ihr Image kann das Gefühl von Selbstwirksamkeit steigern. Doch zu welchem Preis?
Vergleich als permanente Bühne
Ein zentrales Risiko sozialer Medien liegt im sozialen Vergleich. Während Vergleiche in der realen Welt punktuell und oft unvollständig sind, bieten digitale Plattformen einen permanenten Strom scheinbar perfekter Selbstbilder. Die jugendliche Psyche, die noch stark im Aufbau ist, kann diesen Bildern oft nicht realistisch begegnen – stattdessen entstehen Zweifel, Minderwertigkeitsgefühle und der Drang zur Optimierung.
Besonders problematisch ist, dass Plattformen wie TikTok nicht nur vergleichen, sondern auch bewerten – sichtbar, öffentlich und oft unbarmherzig. In der Folge kann sich die Selbstwahrnehmung immer stärker am digitalen Feedback orientieren – und weniger an der eigenen, inneren Wahrnehmung. Die Gefahr: Jugendliche verlernen, sich selbst von innen heraus zu spüren.
Narzissmus oder Anpassung?
Die häufig beobachtete „Selbstdarstellungskultur“ in sozialen Medien wird mitunter als Ausdruck narzisstischer Tendenzen gedeutet. Tatsächlich zeigen einige Studien Zusammenhänge zwischen intensiver Nutzung von Instagram oder TikTok und einem höheren Selbstfokus, dem Bedürfnis nach Bewunderung und oberflächlicherem Beziehungsstil (Casale & Banchi, 2020). Allerdings ist es wichtig, zwischen gesundem, altersgemäßem Selbstausdruck und pathologischer Persönlichkeitsausprägung zu unterscheiden. Nicht jeder Filter ist Narzissmus – und nicht jede Selbstinszenierung ein Symptom. Vielmehr geht es um die Funktion hinter dem Verhalten: Wird die Plattform genutzt, um sich kreativ auszudrücken, oder um innere Unsicherheiten zu kompensieren? Entsteht Verbindung – oder Vergleich?
Was Jugendliche stattdessen brauchen
Jugendliche brauchen keine Verteufelung sozialer Medien – sondern kritisches Begleiten, emotionale Bildung und psychologische Aufklärung.
Dazu gehören:
• Räume, in denen echte Begegnung stattfindet – analog und ohne Bewertung
• Gespräche über Selbstwert, Vergleich und digitale Wirkung
• Medienpädagogik, die psychologische Inhalte integriert
• Vorbilder, die Authentizität statt Selbstoptimierung leben
Nur wenn wir Jugendlichen zeigen, dass ihr Wert nicht im Algorithmus liegt, sondern in ihrem Erleben, können sie sich selbst stabil erleben – auch in einer digitalisierten Welt. Fazit Soziale Medien prägen unsere Wahrnehmung – insbesondere in der Jugendzeit. Sie bieten Räume zur Selbstverwirklichung, bergen aber auch Risiken für Selbstwert, Vergleich und narzisstische Dynamiken. Der Schlüssel liegt nicht im Verbot, sondern in der psychologischen Bildung und reflektierten Nutzung. Denn nur wer sich selbst spürt, ist nicht auf permanente Bestätigung angewiesen.
Literaturverzeichnis
Casale, S., & Banchi, V. (2020). Narcissism and problematic social media use: A systematic literature review. Addictive Behaviors Reports, 11, 100252. https://doi.org/10.1016/j.abrep.2020.100252
Erikson, E. H. (1968). Identity: Youth and Crisis. Norton. Nesi, J., & Prinstein, M. J. (2015). Using social media for social comparison and feedback-seeking: Gender and popularity moderate associations with depressive symptoms. Journal of Abnormal Child Psychology, 43(8), 1427–1438. https://doi.org/10.1007/s10802-015-0020-0
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