Sucht bei Kindern und Jugendlichen
Hanna Dauber
Der Übergang von Kindheit zu Jugend ist wie kein anderer Lebensabschnitt mit Experimentierfreude und Risikobereitschaft verbunden, gleichzeitig kommt es in dieser Phase aber nicht selten zu Schwierigkeiten in der Schule oder Familie, Liebeskummer, Ängsten und Leistungsdruck sowie der Frage nach der eigenen Identität und Zugehörigkeit. Kommen Jugendliche in dieser Phase mit Alkohol oder anderen Drogen in Kontakt, sind sie besonders gefährdet, hierin eine Lösung für ihre Problemen zu suchen. Aber auch die Nutzung von Internet, Computerspielen oder Smartphone kann zu abhängigem Verhalten führen. Sowohl Substanzkonsum als auch die Flucht in exzessive Verhaltensweisen kann Jugendlichen dabei helfen ihren Problemen für kurze Zeit zu entfliehen. Der Konsum von Alkohol oder Drogen gilt im Freundeskreis zudem oft als ‚cool‘. Der Wunsch nach Zugehörigkeit führt häufig dazu, dass sich Jugendliche dem Konsum anschließen, ohne diesen zu hinterfragen.
Nicht selten entwickelt sich aus dem Versuch seine Probleme durch den Konsum zu betäuben und der anfänglich damit verbundenen Euphorie eine Suchtproblematik. Wird der Konsum auch nach einer Phase des Ausprobierens fortgesetzt, kann schon bei Kindern und Jugendlichen eine Abhängigkeit entstehen. Aufklärung und Prävention hat daher höchste Priorität, um Jugendliche zu stärken und damit der Entstehung einer Abhängigkeit entgegenzuwirken.
- Entstehung von Sucht bei Kindern und Jugendlichen
Bei Jugendlichen sind Erwartungen an den Substanzkonsum häufig Glücksgefühle, Abbau von Hemmungen und das Vergessen von Problemen. Aber auch das Spaßhaben mit Freunden steht im Vordergrund. Der Zeitpunkt des ersten Konsums fällt in eine Zeit, in der sich Jugendliche oft verletzlich oder verunsichert fühlen und sich schulische oder familiäre Probleme häufen können. Dies verleitet oftmals dazu, durch Substanzkonsum oder exzessives Verhalten diesen Problemen entfliehen zu wollen.
Substanzkonsum beeinflusst das Belohnungssystem des Körpers, indem die Substanz auf das Gehirns einwirkt. Gerade zu Beginn führt der Konsum meist zu einer starken Euphorie, die den nächsten Konsum begünstigt. Auf Dauer kommt es durch den wiederholten Konsum zu einer Gewöhnung des Körpers. Es werden zunehmend größere Mengen „vertragen“ und immer mehr benötigt, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Mit dieser Toleranzentwicklung beginnt der Weg in die Abhängigkeit. Die anfänglich mit dem Konsum assoziierten positiven Gefühle verwandeln sich oftmals in negative Gefühle, die es mit dem nächsten Konsum zu betäuben gilt. Bei Ausbleiben der Substanz kommt es zu unterschiedlichsten unangenehmen, oft schmerzhaften mitunter sogar lebensgefährlichen Entzugssymptomen. Diese unterscheiden sich je nach Substanz und klingen bei erneuter Einnahme des Suchtmittels schnell ab. Der Suchtkreislauf beginnt.
Treffen individuelle Risikofaktoren mit problematischem Konsum zusammen kann sich eine Abhängigkeit entwickeln. Das Leben dreht sich dann immer mehr um das Suchtmittel, der Drang zu konsumieren wird immer stärker. Dieser Suchtdruck, das sogenannte ‚Craving‘ ist ein zentrales Merkmal der Abhängigkeit, ebenso wie der Kontrollverlust über Häufigkeit und Dauer des Konsums. Während eine Substanzabhängigkeit fast immer eine körperliche Komponente besitzt, spielt bei Verhaltenssüchten lediglich die psychische Abhängigkeit eine Rolle. Während körperliche Entzugssymptome relativ schnell überwunden werden können, ist die psychische Abhängigkeit deutlich schwerer zu überwinden und stellt den größten Risikofaktor für einen Rückfall dar. Die Kriterien einer Abhängigkeit sind in der Internationalen Klassifikation Psychischer Störungen definiert (3).
Insgesamt wird das Entstehen einer Abhängigkeit durch ein Zusammenspiel aus genetischen Faktoren, Persönlichkeitsmerkmalen, die Eigenwirkung der Substanz, den Lebensumständen und psychosozialen Einflüssen beeinflusst. Die leichte Verfügbarkeit eines Suchtmittels kann das Risiko steigern. Nach dem DAK Kinder- und Jugendreport hat auch die psychische Gesundheit einen Einfluss darauf, ob Kinder abhängig werden. Bei einer psychischen Erkrankung im Kindesalter steigt das Suchtrisiko, ebenso wie bei einem psychisch erkrankten Elternteil (4).
Es können stoffgebundene und stoffungebundene Abhängigkeiten unterschieden werden. Unter den stoffgebundenen Süchten versteht man die Abhängigkeit von psychotropen Substanzen wie Alkohol und Tabak, Cannabinoide, Kokain, Stimulanzien wie (Meth)Amphetaminen und Ecstasy, Opiaten wie Heroin, Methadon und andere , halluzinogene Stoffe wie LSD sowie Tabak, Beruhigungsmittel, flüchtige Lösungsmittel und andere Substanzen. Diese Substanzen können pflanzlich oder synthetisch sein und wirken auf Psyche und Bewusstseins. Während Alkohol und Tabak legale Substanzen sind, sind alle anderen Substanzen in Deutschland illegal und unterliegen dem „Betäubungsmittelgesetz“ (BtmG).
Alkohol ist bei Kindern und Jugendlichen die am weitesten verbreitete Substanz. Erste Erfahrungen mit Alkohol fallen in die Altersgruppe zwischen 12 und 17 Jahren, meist trinken Jugendliche auf Partys oder in Clubs. Über die Hälfte der 12-17 Jährigen hat schon einmal Alkohol getrunken, unter den 16-17 Jährigen sind es fast alle (1). Nicht selten kommt es dabei zum Austesten von Grenzen und exzessivem Alkoholkonsum, dem sogenannten „Binge-Drinking“ (Rauschtrinken). Alkoholmissbrauch betrifft jeden Zehnten 16-17 Jährigen, 4% sind bereits alkoholabhängig (1). Insgesamt ist der Alkoholkonsum unter Jugendlichen in den vergangenen Jahren zurückgegangen.
Während das Rauchen unter Jugendlichen deutlich zurück gegangen ist, hat bereits jeder zehnte Jugendliche mindestens einmal eine illegale Droge konsumiert (2). Dabei ist Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Jeder elfte Jugendliche hat schon einmal Cannabis konsumiert, unter den 16-17 Jährigen ist es sogar jeder Vierte, die Tendenz ist seit Jahren steigend (1). Weniger als ein Prozent der Jugendlichen haben Erfahrung mit dem Konsum von Ecstasy, Amphetaminen, Kokain und anderen Substanzen (2).
Nicht nur der Konsum von psychoaktiven Substanzen, sondern auch Verhaltensweisen wie Glücksspiel, Essen, Kaufen, Fernsehen, Internet- und Mediennutzung können einen Suchtcharakter aufweisen und schon bei Kindern und Jugendlichen zu einer Abhängigkeit führen. Verhaltensweisen wirken dabei auf ähnliche Weise auf das Belohnungssystem und führen zu einer psychischen Abhängigkeit (Link zu Blogbeitrag über Medienkonsum?).
Substanzkonsum kann für Jugendliche erhebliche gesundheitliche, soziale und rechtliche Folgen nach sich ziehen. Dadurch, dass sich Organe und Gehirn noch in der Entwicklung befinden, können in jungen Jahren schon kleine Mengen einer Substanz erheblichen Schaden anrichten. Je früher und je exzessiver Jugendliche anfangen zu konsumieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für eine spätere Abhängigkeit (5).
Auf Verhaltensebene kann Substanzkonsum zu Enthemmung führen und neben aggressivem Verhalten auch die Risikobereitschaft erhöhen, die mit einer erhöhten Unfallgefahr und riskantem sexuellem Verhalten (z.B. Verzicht auf Verhütung) einhergeht. Mädchen werden im alkoholisierten Zustand leichter Opfer sexueller Übergriffe. Im sozialen Bereich kann es zu familiären und schulischen Problemen kommen und auf körperlicher und psychischer Ebene können je nach Substanz eine Vielzahl unangenehmer Wirkungen auftreten. Bei manchen Konsumformen besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten, etwa durch den Gebrauch fremder oder verunreinigter Spritzen.
Gesundheitlichen Risiken ergeben sich aber nicht ausschließlich aus der gefährlichen Wirkung der Substanz, sondern auch aus der oft unbekannten Zusammensetzung der Droge sowie dem Mischkonsum verschiedener Substanzen mit unvorhersehbarer Wirkung. Auch der Konsum vermeintlich legaler und harmlos wirkender neuer psychoaktiver Substanzen, den sogenannten ‚legal highs‘, die problemlos von Kindern im Internet als ‚Badesalze‘ oder ‚Kräutermischung‘ mit teils lebensgefährlichen Folgen bestellt werden können, stellen ein Problem dar. Der Konsum von häufig mit günstigen Ersatzstoffen oder gefährlichen Stoffen zugesetzten ‚Pillen‘, haben in der Vergangenheit bereits zu Todesfällen geführt (aktuelle Warnungen finden sich auf ww.mindzone.info/aktuelles/pillenwarnungen). Besonders bei ‚harten‘ Drogen besteht die Gefahr von Überdosierungen. Eine Recherche des NDR geht von 131 jugendlichen (unter 22 Jahren) Drogentoten im Jahr 2022 aus.
Der Konsum und die Beschaffung illegaler Substanzen ist auch mit einer Reihe negativer sozialer und gesetzlicher Folgen verbunden. Neben familiären und finanziellen Problemen kommt es besonders bei ‚harten‘ Drogen häufig zu einem Abrutschen in die Beschaffungskriminalität.
Nicht nur der langjährige Konsum von Suchtmitteln kann die körperliche und seelische Gesundheit gefährden und schädigen, sondern auch der kurzfristige, riskante Konsum bzw. Substanzmissbrauch kann zu negativen Folgen führen. Die Übergänge sind dabei fließend und eine Abhängigkeit kann sich auch noch nach vielen Jahren des Konsums einstellen.
Fällt dem Umfeld eine problematische Entwicklung auf, hilft Offenheit, Aufklärung und Gespräche auf Augenhöhe über Wirkung und Folgen. Im Sinne der Vorbildfunktion sollten Eltern auch den eigenen Umgang mit Suchtmitteln kritisch hinterfragen. Es ist wichtig, dem Kind in Zeiten von Ängsten und Stress, Kummer oder Leistungsdruck eine emotionale Stütze zu sein und ihm Liebe und Anerkennung zu geben. Ein solches soziales Umfeld fördert das Selbstbewusstsein und die Stabilität von Kindern und Jugendlichen. Und ein starkes Selbstbewusstsein macht weniger anfällig für Süchte. Zusammen mit emotionalem Rückhalt aus der Familie können Schwierigkeiten leichter bewältigt werden und gesunde Strategien im Umgang mit Problemen entwickelt werden. Dies ist essenziell für die gesamte Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und auf allen Ebenen von Vorteil für die gesunde psychische Entwicklung.
Hilfe erhalten Betroffene bei Suchtberatungsstellen und bei der Sucht & Drogen Hotline: 01806 313031 (kostenpflichtig. 0,20 € pro Anruf aus dem Festnetz und aus dem Mobilfunknetz)
Detaillierte Informationen für Jugendliche und Eltern finden sich u.a. hier:
www.drogerie-projekt.de, www.mindzone.info, http://www.projekt-trampolin.de/ (Projekte für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien) https://www.kompetent-gesund.de/projekte/familie/ https://www.quit-the-shit.net/qts/ www.kinderstarkmachen.de, www.familien-staerken.info
www.ins-netz-gehen.de/check-dich-selbst/bin-ich-suechtig
Literatur
- Orth, B. & Merkel, C. (2022). Der Substanzkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2021 zu Alkohol, Rauchen, Cannabis und Trends. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
- Orth, B. & Merkel, C. (2020). Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
- World Health Organization. (2019). International statistical classification of diseases and related health problems(11th ed.)
- Witte, J., Zeitler, A., Batram, M., et al. (2022). DAK Kinder und Jugendreport 2022.