Externe vs. interne Selbstwertquellen, Belohnungssysteme und ihr Einfluss auf Motivation
von Lisa Seidel (Psychologin M.Sc. & Autorin)
In einer Gesellschaft, in der digitale Anerkennung in Form von Likes, Followern und Sichtbarkeit zunehmend an Bedeutung gewinnt, stellt sich die Frage: Wie verändert sich unser Selbstwertempfinden – insbesondere das unserer Kinder und Jugendlichen? Die psychologische Forschung bietet Antworten, die sowohl für Eltern als auch für Pädagoginnen und pädagogische Fachkräfte hochrelevant sind.
Selbstwert zwischen Innen und Außen
Der Selbstwert ist ein zentrales Konstrukt der Persönlichkeitspsychologie. Eine zentrale Unterscheidung liegt zwischen dem internen Selbstwert, der aus innerer Überzeugung, Kompetenzerleben und persönlicher Integrität gespeist wird, und dem externen Selbstwert, der auf Rückmeldungen aus dem sozialen Umfeld basiert (Deci & Ryan, 1985).
Gerade bei Heranwachsenden ist die Entwicklung eines stabilen Selbstwertes ein sensibler Prozess. Die Gefahr besteht darin, dass Anerkennung zunehmend über soziale Medien externalisiert wird. „Bin ich gut genug?“ wird zu einer Frage, die sich nicht mehr aus eigenen Werten oder Leistungen beantwortet, sondern aus der Reaktion anderer.
Digitale Belohnungssysteme: Dopamin auf Knopfdruck
Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube arbeiten mit Algorithmen, die gezielt Belohnungssysteme im Gehirn ansprechen. Jede Form der positiven Rückmeldung – ein Like, ein Kommentar, ein Share – aktiviert das dopaminerge System (Montag et al., 2019). Dies verstärkt kurzfristig das Gefühl von Bedeutung, aber langfristig kann es zur Abhängigkeit von äußerer Bestätigung führen.
Dieses Prinzip steht im Kontrast zu intrinsischer Motivation, also der Motivation, etwas aus sich selbst heraus zu tun – etwa aus Freude, Neugier oder persönlicher Herausforderung. Wenn Kinder und Jugendliche früh lernen, dass Leistung nur dann „zählt“, wenn sie sichtbar oder applaudiert wird, kann dies die Entwicklung einer eigenständigen Leistungsidentität blockieren.
Auswirkungen auf Motivation und psychische Gesundheit
Ein übermäßiger Fokus auf äußere Bestätigung kann folgende Effekte mit sich bringen:
Leistungsdruck und Vergleich: Kinder vergleichen sich häufiger mit anderen, insbesondere über soziale Medien, was zu Frustration und dem Gefühl von Unzulänglichkeit führen kann (Burrow & Rainone, 2017).
Sinkende Frustrationstoleranz: Wenn Anerkennung dauerhaft ausbleibt, brechen Aktivitäten schneller ab oder werden als „nicht lohnend“ empfunden.
Verlust intrinsischer Motivation: Die Lust am Lernen, Spielen oder Schaffen nimmt ab, wenn sie nicht sofort sichtbare Anerkennung erfährt.
Was wir tun können
Psychologische Bildungsarbeit sollte darauf abzielen, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln:
Wie Selbstwert entsteht – und dass dieser nicht von außen "verliehen" wird
Was echte Anerkennung bedeutet – jenseits von Klicks und Applaus
Wie Motivation funktioniert – und wie es sich anfühlt, etwas für sich selbst zu tun
Auch im Elterncoaching und pädagogischen Alltag gilt: Echtes Interesse, wertschätzende Rückmeldung und Raum für selbstwirksames Handeln stärken Kinder langfristig weit mehr als jede virtuelle Bestätigung.
Literaturverzeichnis
Burrow, A. L., & Rainone, N. (2017). How many likes did I get? Purpose moderates links between positive social media feedback and self-esteem. Journal of Experimental Social Psychology, 69, 232–236. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2016.09.005
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic motivation and self-determination in human behavior. Springer.
Montag, C., Lachmann, B., Herrlich, M., & Zweig, K. (2019). Addictive features of social media/messenger platforms and freemium games against the background of psychological and economic theories. International Journal of Environmental Research and Public Health, 16(14), 2612. https://doi.org/10.3390/ijerph16142612
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