Eva Schmidt, (Praktikantin im Bereich Erziehungswissenschaften)
In unserer heutigen Gesellschaft wird der Mensch bereits vor oder direkt nach der Geburt als männlich oder weiblich wahrgenommen. Dadurch wird das individuelle Geschlecht des Kindes im Laufe seiner Entwicklung durch soziale Norm- und Wertevorstellungen der jeweiligen Gesellschaft bzw. Kultur überdeckt. Die Kinder werden mit geschlechtsspezifischen Erwartungshaltungen konfrontiert, weswegen unterschiedliche (geschlechtsspezifische) Erfahrungen gesammelt werden, die sich auf ihr äußeres Erscheinungsbild, ihr Verhalten sowie ihre Emotionen auswirken (vgl. Klika & Schubert 2013, S. 71-73). Die Erwartungshaltung und das Verhalten ihres Umfelds spielen dabei eine entscheidende Rolle, da sozialisationstheoretisch angenommen wird, dass Geschlecht erlernt wird (vgl. Rohrmann & Wanzeck-Sielert 2018, S. 46).
Zunächst durch das familiäre Umfeld geprägt, beeinflussen später auch die Kita und die Schule bzw. die Interaktionen mit den Erzieher*innen, Lehrer*innen und Gleichaltrigen die Geschlechtersozialisation (vgl. Focks 2016, S. 88 f.). Wenn in diesen Settings die Vorstellung einer (binären) Geschlechterdifferenz Überhand gewinnt, kann es zu Problemen kommen.
Kinder, die sich geschlechtsuntypisch verhalten, könnten durch die normativen Vorstellungen ausgegrenzt werden, da sie sich nicht binär in die Kategorie Geschlecht einordnen lassen (vgl. Klika & Schubert 2013, S. 71-73).

Aber nicht nur das soziale Umfeld konstruiert Geschlecht, auch bspw. Musik, Bücher und Filme, die man konsumiert, wirken sich auf unsere Geschlechterwahrnehmung aus (vgl. Collek et al. 2009, S. 21). Weil Kinder als Junge oder Mädchen wahrgenommen und unterschiedliche Erwartungshaltungen und Kompetenzzuschreibungen an sie gerichtet werden, kommt es zu geschlechtsspezifischen Entwicklungen. Diese haben keinen natürlichen Ursprung, sondern resultieren aus den vorherrschenden Normen einer zweigeschlechtlichen und heteronormativen Gesellschaft (vgl. Klika & Schubert 2013, S. 72, 261-264). Diese Normen „betreffen [unter anderen] die äußere Erscheinung (Kleidung, Frisur, Körperhaltung, Gang), den Sprachgebrauch (Kommunikation, Interaktion), die Interessenentwicklung [sowie] die Berufswahl“ (ebd., S. 73). Als männliche Eigenschaften gelten z.B. Stärke, Klugheit und Aktivität, mit denen auch Macht und Unabhängigkeit einher gehen. Im Gegensatz dazu gelten Passivität und Gefühlsbetontheit als weiblich. Erfahren Kinder ein solches Geschlechterverständnis in ihrer Umwelt, wird es von ihnen aufgenommen und in ihr Verhalten integriert (vgl. Joas 2007, S. 298). In dem zunächst fremdgesteuerten Prozess spielt nun auch die aktive Rolle des Kindes eine ausschlaggebende Rolle: Es beginnt sein Geschlecht nach außen zu inszenieren (vgl. Steins 2008, S. 89 f.).
In Kitas kann man die verschiedenen Verhaltensweisen beobachten: Jungen interagieren weniger mit den Erwachsenen als Mädchen, treten aber aktiver, aggressiver und unabhängiger auf. Mädchen spielen ruhiger und kommunikativer. Jungen werden eher in der Bauecke vorgefunden, während sich Mädchen oft in der Puppenecke aufhalten (vgl. Kasküschke 2004, S. 365 f.). Das unterschiedliche Spielverhalten hat Auswirkungen auf die Kompetenzentwicklungen der Kinder: Mädchen erweitern dadurch „ihre Fähigkeit zur Empathie und Perspektivübernahme“ (Steins 2008, S. 41) sowie ihre Fantasie, Kreativität und Ausdrucksfähigkeit. Jungen erweitern ihre Fähigkeiten im handwerklichen Bereich, im räumlichen sowie technischen Denken und bauen ihre Körperkraft aus (vgl. ebd., S. 41 f.).
Mit der Aneignung des geschlechtsspezifischen Habitus gehen Risken einher: Der „typische“ Junge könne bspw. durch ein zu hohes Maß an Durchsetzungskraft und provokativem Verhalten später „starke Passungsprobleme“ (Focks 2016, S. 89) erfahren. „Typische“ Mädchen können unter einer enormen Unterdrückung der eigenen Interessen und Persönlichkeit leiden, wenn sie sich den gesellschaftlichen Vorstellungen des weiblichen Habitus unterzuordnen versuchen. Hinzukommt, dass Kinder, die ein geschlechtsabweichendes Verhalten aufzeigen und sich nicht binär in die Kategorie Geschlecht einordnen lassen, schnell ausgegrenzt und diskriminiert werden (vgl. ebd., S. 89- 91).
Eine gendersensible Pädagogik scheint in diesem Kontext sinnvoll. Diese kennzeichnet sich dadurch aus, dass das Geschlecht nicht als natürliches und statisches Merkmal begriffen wird, da es nicht nur das Mädchen oder den Jungen gibt (vgl. Klika & Schubert 2013, S. 268). „Es [komme] darauf an, Kinder und Jugendliche als geschlechtliche Wesen zu sehen, sie aber nicht auf Stereotype zu reduzieren und auf die Differenzen innerhalb der Gruppe zu achten.“ (ebd.) Die geschlechterbewusste Pädagogik setzt sich mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Geschlechter auseinander und setzt sich für Chancengerechtigkeit sowie eine individuelle Persönlichkeitsentwicklung der Kinder ein (vgl. Rohrmann 2010, S. 63-68).
Zu den Veröffentlichungen des MoonWalker Verlags gehört nun auch die Kindergeschichte „Der Hut von P. S.“. Mit ihr soll Kindern vermittelt werden, dass man unabhängig von seinem Geschlecht, die Klamotten tragen darf, die man möchte. Jede*r soll sich so wohlfühlen, wie er oder sie möchte, und das auch zeigen dürfen. Die Geschichte ist eine Ermutigung für Kinder
zu sich selbst zu stehen.
Literaturverzeichnis:
- Czollek, L. C., Perko, G. & Weinbach, H. (2009). Lehrbuch Gender und Queer: Grundlagen, Methoden und Praxisfelder. Juventa.
- Focks, P. (2016). Geschlecht im Spiegel der individuellen Entwicklung von Kindern. In: dies. (Hrsg.), Starke Mädchen, starke Jungen: Genderbewusste Pädagogik in der Kita(S. 87-94). Herder.
- Joas, H. (2007). Geschlecht und Gesellschaft. In: ders. (Hrsg.), Lehrbuch der Soziologie (3. überarbeitete und erweiterte Aufl.) (S. 288-312). Campus.
- Kasküschke, D. (2004). Gender im Kindergarten. In: E. Glaser, D. Klika & A. Prengel (Hrsg.),
- Handbuch:Gender und Erziehungswissenschaft (S. 361-372). Julius Klinkhardt.
- Klika, D. & Schubert, V. (2013). Einführung in die Allgemeine Erziehungswissenschaft: Erziehung und Bildung in einer globalisierten Welt: Beltz.
- Rohrmann, T. (2010). Geschlechterbewusste Pädagogik: Eine Gradwanderung. In: P. Wagner (Hrsg.), Handbuch Kinderwelten: Vielfalt als Chance - Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung (2. Aufl.) (S.59-71). Herder.
- Rohrmann, T., & Wanzeck-Sielert, C. (2018). Mädchen und Jungen in der KiTa: Körper - Gender - Sexualität (2. Aufl.). W. Kohlhammer.
- Steins, G. (2008).Identitätsentwicklung: Die Entwicklung von Mädchen zu Frauen und Jungen zu Männern(3.Aufl.). Pabst Science Publ.3